Die Bahn erinnern

Wir wissen hier meist wenig über den Widerstand gegen die Nationalsozialisten in unserem Nachbarland Belgien. Mehr als die Hälfte der Jüdinnen und Juden, die in Belgien gelebt haben, konnten der Vernichtungsmaschinerie der Nazis entkommen. Dies war möglich, weil breite Teile der Bevölkerung eine Beteiligung an der Judenverfolgung ablehnten. Tausende wurden, oft über Jahre, versteckt. Über viertausend Kinder jüdischer Eltern konnten so der Shoa entkommen, sie lebten in belgischen Familien und wurden gemeinsam mit den eigenen Kindern großgezogen, Klöster und Internate nahmen sie auf und versteckten sie vor den Nazis.

Der Widerstand gegen die deutsche Besatzung war weit verbreitet. Zwar gab es faschistische belgische Kollaborateure, die z.B. als KZ-Aufseher der Brutalität der Nazis in nichts nachstanden, auch jüdische Menschen dienten sich den Nazis als Spitzel an. Der Widerstand ohne Organisationen, im Alltag, getragen von Menschen, die sich der Unmenschlichkeit entgegenstellten, rettete vielen Menschen das Leben. Sie besorgten falsche Pässe, organisierten für sie Geld, Kleidung, Unterkunft und Arbeit.

Zu den spektakulären Aktionen gehört der Angriff eines belgischen Piloten, der in der britischen Armee gegen die Nazis kämpfte. Am 20.1.1943 donnerte er mit seinem Flugzeug im Tiefflug über die breiten Boulevards von Brüssel direkt auf die Nebenstelle des Reichssicherheitshauptamtes zu, übersäte das Gebäude mit Granaten und Geschossen und zog dann sein Flugzeug wieder hoch. Das Hochhaus, in dem die Gestapo in der 8ten Etage ihren Sitz hatte, wurde schwer getroffen. Aus allen Teilen Brüssels strömten die Menschen zu diesem Ort, um die unverhoffte Demütigung der Nazis zu besichtigen, es sah aus wie eine Demonstration gegen die Nazis.

Ein großes Monument erinnert heute an diese Aktion des belgischen Piloten Jean de Sélys Longchamp.

Bei dem einzigen Überfall auf einen Deportationszug nach Auschwitz konnte am 19.4.1943 der 20. Konvoi in Boortmeerbeek angehalten werden. Drei junge Männer hatten mit einer Sturmleuchte, beklebt mit rotem Papier, den Zug gestoppt und konnten 17 Männer, Frauen und Kinder befreien, weiteren 215 gelang die Flucht bis der Transport die deutsche Grenze erreicht hatte. Diese Menschen überlebten alle die Naziherrschaft, wurden von Freunden und Unbekannten bis Kriegsende versorgt und versteckt.

Was beeindruckt uns heute, an diesem Verhalten? Die Entschiedenheit, mit der sich „normale“ Menschen der Hetze, dem Machtanspruch und der brutalen Unterdrückung entgegengestellt haben. Sie ließen – mit ihren Möglichkeiten - nicht zu, dass „aus Nachbarn Juden wurden“, die ausgegrenzt, entmenschlicht und schließlich umgebracht werden konnten. Sie zogen sich nicht darauf zurück: man kann ja doch nichts machen, sondern taten, was ihnen möglich war. Eine Haltung, die auch heute dringend gefordert ist, wenn immer wieder Ausländer, „Islamisten“ als Bevölkerungsgruppen für Taten verantwortlich gemacht werden, die Einzelne begangen haben.

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